Oh, ich bin kein Botaniker, hatte aber Genetik in meiner Ausbildung
Ob Du es Dir vorstellen kannst, ist übrigens völlig egal, aber sortenfeste Pflanzen sind genetisch gleich. Nicht identisch, das entsteht nicht einmal bei der F1-Hybridisierung. Auch die sind nur Geschwister und haben gleiches Erbgut, aber durchaus Varianten in den Ausprägungen.
Ich versuche mal einen Grundkurs:
Im Zellkern befinden sich Eiweißstränge, auf denen die Erbanlagen gespeichert sind. Diese Stränge heißen Chromosomen. Sie enthalten die Gene, die festlegen, wie groß die Pflanze wird, und welche Farbe die Früchte haben, aber auch Enhancer und Promoter, also Eiweiße, die die Bedienanleitung für die Gene darstellen.
Außerdem haben nicht alle Gene eine Funktion bei der Vererbung von Merkmalen. Es gibt sogenannte codierende Gene, die Merkmale vererben, und nichtcodierende Gene, die zum Beispiel das Altern des Organismus regulieren.
Was Dich am meisten umtreibt ist, so scheint mir, die Frage nach dem Unterschied zwischen genetischer Variante und genetischer Variabilität.
Genetische Variabilität bezeichnet die Vielfalt der möglichen Gene und damit der möglichen Erscheinungsformen innerhalb einer Spezies oder Sorte. Innerhalb der Spezies Tomate ist die Vielfalt riesig, sie reicht von meterlangen Riesenpflanzen oder kiloschweren Früchten bis hin zu 15 cm hohen Zwergen mit 10g leichten Kügelchen. Und außer reinem Blau ist jede Fruchtfarbe denkbar.
Innerhalb einer stabilen Sorte ist die Variabilität stark eingeschränkt. Die Wuchshöhe der Pflanzen variiert nur noch um Zentimeter, die Früchte variieren nur noch um einige Gramm (im Verhältnis zur Gesamtgröße), Eine Pflanze neigt mehr zur Bunkerfrüchtigkeit als eine andere, und vererbt das auch. Oder sie unterscheiden sich ein wenig im Zuckergehalt.
Genetisch äußern sich diese Unterschiede durch Unterschiede in den nichtcodierenden Genen, die codierenden Gene sind gleich und bestimmen die sortentypischen Merkmale.
F1-Hybriden sind genetisch gesehen eine eigene Sorte. Sie ist nicht genetisch stabil, und die Nachkommen können aufspalten, aber das ist für Dich nicht interessant. Du willst nur die eine Generation betrachten, und deshalb tun wir das jetzt. Auch innerhalb dieser Generation sind nicht alle Pflanzen gleich. Sie unterscheiden sich nicht in den codierenden Genen, aber in den nichtcodierenden Genen gibt es Unterschiede.
Wenn Du identische Pflanzen willst, mußt Du klonen oder vegetativ vermehren. Eine geschlechtliche Vermehrung bedeutet immer die Variation des Individuums.
Stimmt, das muß ich noch erläutern: die genetische Variante ist von Individuum zu Individuum unterschiedlich. Das betrifft die nichtcodierenden Gene und auch in bestimmten Fällen Enhancer und Promoter. Deshalb werden nicht alle Pflanzen gleich hoch, auch wenn sie die gleichen Eltern haben. Deshalb tragen nicht alle genau gleich viel Früchte. Und auch die F1-Hybriden sind nicht alle gleich. Sie keimen nicht alle zur gleichen Zeit, sondern innerhalb eines Zeitraumes. Und sie sind auch nicht gleich groß und gleich fruchtbar. Sie sind alle Varianten innerhalb eines sehr engen Spektrums. Und wenn Du mal 5 der gleichen Sorte anbaust, wirst Du das auch beobachten.
Wenn Du es noch genauer wissen willst, kannst Du bei
Wikipedia nachlesen. Dort ist es zwar am menschlichen Genom erklärt, das eine viel stärkere Variabilität aufweist, als das bei einer stabilen Tomatensorte der Fall ist. Aber das Prinzip und die Vorgänge sind die gleichen.
Ach so, und zur Frage, ob F1 gut oder schlecht ist:
Nur der Mensch kann gut oder schlecht sein, je nachdem ob er gut oder schlecht handelt.
Der Vorwurf gegen die großen Saatgutkonzerne lautet auch nicht, schlechtes Saatgut in Verkehr zu bringen. Es ist nur so, daß sie versuchen, eine samenfeste Sorte nach der anderen durch Hybriden zu ersetzen, die dann nicht privat nachgebaut werden können.
Auf Deinem Balkon ist das kein Problem. Du kannst Dir alle 5 Jahre ein neues Tütchen kaufen, und wirdst davon nicht arm. Aber ein Bauer mit 5000 Pflanzen im Anbau ist davon viel stärker betroffen, wenn er sein Saatgut nicht selbst nachbauen kann. Er wird abhängig von der Saatgutfirma, und die kann ihre Preise frei gestalten. Das ist gut für die Firma, aber schlecht für die Bauern. Und deshalb gibt es Menschen, die keine Hybriden kaufen. Nicht, weil die schlecht wären, sondern weil sie dieses Geschäftsprinzip nicht unterstützen wollen.
Liebe Grüße, Mechthild
Erst wenn die letzte Fichte verdorrt, der letzte Fluss vertrocknet und der letzte Schmetterling vergiftet ist, werdet Ihr feststellen, dass man Subventionen nicht essen kann.
Frei nach dem alten nativen Stammesführer